ANLEITUNG ZUR FLUCHT AUS DER HIGH-TECH

Eine Unterweisung in fünf Schritten von Helmut A. Gansterer
I. Einer meiner Einser-Freunde ist Bernhard Ludwig, 50. Schon vor Jahren war er der heimliche Superstar unter Österreichs Kabarettisten. Die Journalisten hatten ihn noch nicht entdeckt, dafür aber ein besonders treues, hochintelligentes Publikum. Bald war jeder seiner Auftritte ausverkauft. Heute verzichtet er sogar auf Plakataktionen. Sie sind nicht mehr notwendig, die Riesensäle zu füllen. Auch große Konzerne buchen ihn gerne, um ihre Mitarbeiter zu begeistern; und der ORF hat ihn jetzt fest im Griff.
Ludwig ist der Psychotherapeut unter den Kabarettisten. Er versteht sehr viel davon, geht aber andere erfolgreichere Wege als die Schulmediziner. Unter anderem nervt ihn alles, was mit Zwang und Ersthaftigkeit zu tun hat. Er hält diese Geisteshaltung für kontraproduktiv.
Sein Philosophie lässt sich schon an den Titeln ablesen, beispielsweise »Anleitung zum Herzinfarkt« und »Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit«.

II. Freund Ludwig hat mir liebenswürdigerweise gestanden, zirka ein Duzend meiner Ideen oder Sätze für seine Programme geklaut zu haben. Das ist eine große Ehre. Da ich dafür keinen Groschen Tantiemen erhielt, klaue ich jetzt zurück.
Ich verwende seine Methode für eines der schmerzhaftesten Phänomene der Zeit: den ungeschickten und furchtsamen Umgang vieler Österreicher mit allem, was »High-Tech« ist, also vorwiegend jene digitale Technik, die in Computern, Organizern, Bürogeräten, Kameras, Software, Internet und im Handy steckt.

Es muß ja Gründe haben, warum wir Erwachsenen um soviel patscherter damit umgehen, als die Kinder.
Daher also die »Anleitung zum Unglücklichsein mit der High-Tech« in fünf Schritte.

III. Erster Schritt: Glauben Sie an Weltverschwörungen.

Es lohnt sich, die ganze High-Tech als Teufelsgeburt von Finsterlingen zu sehen, deren Ziel es ist, die Menschen durch geistige Überforderung ins Elend zu werfen. Ich empfehle zu diesem Zweck das grandiose Buch »Das Lexikon der Verschwörungstheorien« von Robert Anton Wilson. Dort heißt es: »Nur weil du nicht paranoid bist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind. «Sagen Sie am besten zehnmal am Tag - langsam und mit deutlicher Aussprache - folgenden Text: »Graue Mächte haben dieses Teufelszeug auf die Welt gebracht, um mich fertig zu machen.«
 
IV. Zweiter Schritt: Weichen Sie der High-Tech-Bewegung aus.
Begreifen Sie endlich, dass der Starke am mächtigsten allein ist. Gehen Sie ihren eigenen Weg. Werden Sie zur stolzen Frau und zum selbstbewussten Herrn. Negieren Sie den Zug zur Zeit. Weigern Sie sich, Lemming zu sein. Widerstehen Sie dem High-Tech Konsumterror unserer Zeit! Wozu ein Digitaltelefon, das alle Stückerl spielt? Wer was von Ihnen wissen will, soll Sie besuchen. Spazierengehen hat noch keinem geschadet. Wozu Elektronenrechner bei Billa und Eduscho? Nur Dumpfgummis können nicht Kopfrechnen. Wozu E-Mail? Nur unkultivierte wollen das frühere Leben missen, das suchen von Papier, Kuvert und Briefmarken und der feinen Spannung, ob der Brief, nachdem er durch hundert Hände ging, vom Briefträger auch wirklich innerhalb eines Jahres an den richtigen Ort gebracht wird. Bereits Karl Kraus schrieb: »Es ist typisch, dass man in Österreich einen Brief aufgibt.« Da ist noch Spannung drin, sapperlot. Auch die hat uns das kulturlose E-Mail und die ganze dahergelaufene High-Tech geraubt. Jeder elektronische Brief ist in fünf Sekunden am Ziel, das kann nicht gesund sei!
Suchen und finden Sie weitere gute Gründe, warum man kein einziges dieser Teufelszeuge braucht.
 
V. Dritter Schritt: Verschließen Sie Ihre Ohren den High-Tech Begeisterten.
Es gibt erstaunlich viele irregeleitete Freaks, die sich vor Freude um die neue Werkzeuge die aus der Teufelsküche der High-Tech kommen überschlagen. Sie wirken oft überzeugend. Um so wichtiger ist es, ihren Lockungen zu widerstehen. Meist muss man sich wie Odysseus an den Mast des Schiffes binden, um vom Gesang dieser Sirenen nicht ins Unheil gerissen zu werden.
Die besonders gefährlichen Sätze kommen gern von Schriftstellern und Journalisten, weil diese glauben, ihre Berufe seien geradezu maßgeschneidert für die High-Tech. Vorsicht also vor begeisterten Reden wie der folgenden: »Ich habe mithilfe des PC meine Produktivität genau verdoppelt. Ich leiste jetzt 100 Prozent mehr als früher. Die schönen und völlig Strahlungsfreien 14-Zoll-TFT-Bildschirme motivieren genauso wie die Möglichkeit viele Schriften und Farben zu verwenden. Korrekturen brauchen die halbe Zeit. Einfügungen sind ein Kinderspiel. Alles bleibt übersichtlich und sauber, weil sich das Schriftbild nach der Korrektur selbst repariert. Und wenn ich einmal irgend etwas nicht weiß, schließe ich mein Handy an. Das verbindet mich übers eingebaute Modem mit dem Internet, wo ich alles finde, was ich brauche.«

Und mit jedem Tag gibt es mehr Fotografen, die uns in Versuchung führen, »weil die neuen Digitalkameras sind zwar immer noch teuer, bieten aber den ewigen Film, und ich brauche endlich keine finstere und chemisch giftige Dunkelkammer mehr.

Ohren zu, kann ich da nur sagen. Einfach nicht hinhören und weitergehen.

VI. Vierter Schritt: Lesen Sie Bedienungsanleitungen.

Die Pädagogen wissen heute, warum die Kids, Teens und Twens unheimlich schnell mit jeder High-Tech zurande kommen: Sie sind vollkommen unverkrampft und verspielt und nähern sich den neuen Geräten wie junge Katzen und Hunde. Sie werken drauflos. Sie drücken jede Taste. So lernen sie im Wege von Trial & Error lustbetont, wie die Dinge funktionieren.
Kinder beherrschen einen PC (egal ob Apple-Mac oder einen der führenden Windows-Intel-PCs) oft binnen eines Wochenendes. Handy-SMS (Short Message Service) begreifen sie innerhalb von zehn Minuten.
Um der Freude an der High-Tech zu entfliehen, lohnt es sich also, anders vorzugehen. Am besten einfach so, wie es alle Gruftis (über 30) und alle Kompostis (über 50) machen. Nichts entmutigt so sehr wie das pflichtbewusste, genaue lesen der Bedienungsanleitungen.
Dies hat viele Vorzüge: Es ist erstens anstrengen; zweitens oft unverständlich, speziell dann, wenn japanische Firmen den Ehrgeiz hatten, selbst ins Deutsche zu übersetzen. Gebrauchsanleitungen bringen also viel, wenn man sich vor High-Tech fürchten will. Man traut sich nach der Lektüre nicht einmal, auf »ON« oder »POWER« zu drücken, und weiß nur, dass alles kompliziert ist.
Merke: Bedienungsanleitungen (neudeutsch: Manuals) sind der sicherste und feinste Weg, sich vor High-Tech zu retten.
 
VII. Fünfter Schritt: Kaufen Sie von No-Names.
Dumme Menschen verfallen der High-Tech. Besonders Dumme kaufen ihren PC von Compaq, IBM, Fujitsu-Siemens, Dell und andere berühmten Namen, Ihr Handy von Ericsson, Motorola, Nokia, Siemens oder Panasonic, Ihre Digitalkamera von Olympus, Canon, Nikon und Leica, ihren Drucker von Hewlett-Packard, Epson, Lexmark oder Xerox.
Der kluge High-Tech-Verächter kauft von No-Names, die oft aus China kommen und vielleicht Butterfly, Yin & Yang oder River Li heißen. Wenn irgendein technisches Problem auftritt, ist die Kummertelefonleitung (Hotline) dieser sogenannten Konzerne meistens tot, so wie die Firma selbst, die später unter neuem Namen wieder zur Welt kommt.
Ein No-Name-Gerät zu kaufen ist der brillanteste aller Fluchtwege, um vor der teuflischen High-Tech das Weite zu suchen.
 

Abgeschrieben aus einer österreichischen Zeitung namens >>NEXT, vermutlich aus dem Herbst 2000 oder Frühjahr 2001. Ich habe versucht herauszufinden ob ich diesen Text abschreiben und veröffentlichen darf, jedoch keine Kontaktmöglichkeit gefunden. Sollte sich jemand in seinen Rechten verletzt fühlen, bitte mit mir unter Kontakt aufzunehmen.


Stand vom 15.08.2007 - Fragen/Antworten/Probleme/sonstwas????